Donnerstag, 28. April 2011

Queen Lit

Diana-Fans werden den neuen Roman von Monica Ali lieben. Eine britische Prinzessin taucht nach einem fast tödlichen Autounfall in einer amerikanischen Provinzstadt auf; mit neuem Namen und neuer Nase beginnt sie ein neues Leben. Die Kritiker sind dagegen weniger amused, dass Ali ausgerechnet Diana zum Thema ihres neuen Romans „Untold Story“ gewählt hat, und dieser neben „Sachbüchern“ wie „William and Kate: A Royal Love Story“ von James Clench, Belletristik wie „The Golden Prince“ von Rebecca Dean; Graphic Novels wie „Kate and William: A Very Public Love Story“ oder so aufschlussreiche Kinderbücher wie „The Queen’s Knickers“ zur königlichen Hochzeit erschienen ist; schaffte es die Autorin 2003 mit ihrem Debüt „Brick Lane“ auf die begehrte Granta-Liste der besten englischsprachigen Autoren neben Booker Prize-Anwärtern und „Supergehirne“ wie Julian Barnes.

Tatsächlich wird das Könighaus schon seit einigen Jahren von ernstzunehmenden Autoren literarisch verarbeitet, sei es in Roald Dahls „BFG“ oder Alan Bennetts „Die Souveräne Leserin“. Den Anfang machte die britische Autorin Sue Townsend 1992 und verbannte die königliche Familie in ihrer Kultsatire „The Queen and I“ in eine mittelenglische Arbeitersiedlung. Mark Helprin, ebenso Brite, schickte in „Freddy and Fredericka“ (2006) Diana und Charles im Auftrag einer geheimen, der Wiederherstellung der Monarchie gewidmeten Organisation in die Staaten, um diese für Großbritannien zurückzuerobern. Fast unvorstellbarer als Sue Townsends Vorstellung vom Ende der Monarchie ist das Thema der Novelle Alan Bennetts: Eine Queen, die sich nicht wie gewohnt zu Hause mit Puzzle und Pferderennen beschäftigt und mit Shakespeare angeblich nichts anfangen kann, entdeckt durch eine zufällige Begegnung mit einer mobilen Bücherei das Lesen und verschlingt daraufhin Werke von Marcel Proust. (Und dann wäre noch meinen Roman 'Ein Einziges Jahr', in dem ein Queen-Double eine führende Rolle spielt.)

Die Monarchie abzuschaffen, wenn auch nur literarisch, wäre vor einem halben Jahrhundert noch unvorstellbar gewesen. Damals galt sie als beliebt und besaß Aura genug, um nicht literarisch verarbeitet werden zu müssen, auch wenn das Mythos Königshaus von teils absurden Fantasien gestutzt wurde. Die bürgerliche Ehefrau von King Edward, Wallis Simpson, soll sowohl für die Amerikaner, Deutschen und Russen gleichzeitig Geheimagent gewesen sein, so der britische Journalist Jeremy Paxman in seinem Buch „On Royalty“. Diana schien als Prinzessin gewordene Ex-Kindergärtnerin zunächst die Verkörperung des königlichen Märchens überhaupt (man denke nur an ihre acht Meter lange Hochzeitskleidschleppe) - und trug dann mit ihren Enthüllungen von Affären und Essstörungen mehr zum Republikanismus in Großbritannien bei, als jedes Königshausmitglied vor ihr, so die „Economist“. Wir alle kennen die ernüchternden Berichte von Alltagsdetails der Royals, die in den Jahren danach folgten, von Tupperwaredosen auf dem Frühstückstisch der Queen etwa; oder von Charles, von dem behauptet wurde, mit einem Bedientesten im Bett erwischt geworden zu sein. Tatsächlich dienten solche, und auch heutige Meldungen von betrunkenen Prinzen, die aus Londoner Nightclubs torkeln, weniger dazu, das Königshaus in Verruf zu bringen, sondern als Erinnerung, dass man sich von der königlichen Familie Besseres erwartet; ja die Königshausmitglieder für bessere Menschen hält.

„Ich glaube, ich werde zum Menschen,“ sagt die Queen in Alan Bennett „Die Souveräne Leserin“ nach dem erneuten Ringen mit einer besonders schwerverdaulichen klassischen Lektüre. „Ich bin mir nicht sicher, ob dies eine willkommene Entwicklung ist.“ Dass man Charles beim Pflegen seines Biogartens in der Arbeitersiedlung zusehen darf, ist nicht zuletzt eine literarische Antwort auf das Bedürfnis des britischen Volkes, ein nahbares Königshaus zu erleben. Königshaus Satiren wie die der Anti-Royalistin Townsend („Queen Camilla“) seien weniger als boshafte, denn als herzliche Satiren zu verstehen, so Jon Howells von der britischen Buchladenkette Waterstones. Tatsächlich kann Queen Lit als Lückenfüller dienen, neben der Presse mit ihren saftigen Details über das Königshaus; eine Berichterstattung, die auch von den Sachbüchern, die in den letzten Monaten über Kate und Wills erschienen sind, fortgeführt wird. Muss man wirklich wissen, dass Kate und Williams Spitznamen, wie in dem neuen Buch vom Königshaus-Korrespondenten James Clench zu lesen, „Babykins“ und „Big Willie“ heißen?

Von ihrem Mythos beraubt und reduziert auf das, was die Medienwelt an Bildern hergibt, sind die Royals heute, so der Kritiker Norman Lebrecht, nichts mehr als ein Spiegelbild unserer selbst. Gerade in dem man die Queen beim zähneknirschenden Umrühren einer Dosensuppe oder in dem Versuch, einen Rollkoffer einer Treppe hinunter zu ziehen erlebt, erfährt man eine dem Königshaus in Zeiten des Massenmedien-Rampenlichts oft verloren geglaubte Bescheidenheit. Mit subtiler Satire der Monarchie zu mehr Popularität verhelfen: Das hätte eine bekennende Republikanerin wie Sue Townsend, dessen „The Queen and I“ dieser Tage in einer Neuauflage von Penguin erschienen ist, vermutlich nicht gedacht. Auch sie wird das „Spektakel“, der Royal Wedding, schauen; vielleicht, so die bekennende Republikanerin, könne es als Recherche für das Buch dienen, an dem sie derzeit schreibe.

Sonntag, 10. April 2011

"Falsch verstandene Nähe"

„Dir geht’s aber nicht so gut, oder?“

Die Sonne scheint; meine Nachbarin verkleinert die Augen. Ihr Blick, und ihre Frage lassen mich für ein Moment panicken. Sehe ich so fertig aus? Habe ich wieder, wie neulich, die Wohnung mit einem riesigen Breifleck auf der Jacke verlassen? Bis aus meiner anfänglichen Verunsicherung Wut wird: Welches Recht hat diese Frau, die mich kaum kennt, eine solche Frage zu stellen? – eine in dem (zumindest für mich) weniger Höflichkeit oder ernsthafter Sorge, als Skepsis, Schadenfreude und vor allen Dingen Neugierde mitschwingt.

Als ich noch in London lebte, habe ich neben meinem Beruf als Journalistin an ein Projekt für das British Council mitgewirkt, an dem auch einige Deutsche mitarbeiteten. Die englischen Kollegen begrüßten einen stets mit einem fröhlichen „Morning!“, neutralen „Hi!“ oder mit einem schlichten Kopfnicken, telefonierten sie etwa gerade. Meine deutsche Projektleiterin dagegen fragte mich zur Begrüßung einmal: „Wie siehst Du denn aus? War wohl eine lange Nacht..“

Ich hatte an jenem Morgen sehr gut geschlafen, danke, wenn auch zur kurz: Die Augenringe kamen vermutlich daher, dass ich am Vorabend mal wieder zu lange gearbeitet hatte. Am liebsten hätte ich der Dame geantwortet, dass ich die Nacht durchgezecht hatte und mal wieder betrunken in einer Polizeizelle aufgewacht war. Aber ich riss mich zusammen, murmelte etwas, und setzte mich an meinem Platz.

Einige Leser dieser Zeilen werden meinen, ich würde jetzt nur auf den altbekannten Stereotypen des zu direkten Deutschen herumhacken: Tatsächlich habe ich diese Form der direkten und oft skeptischen Nachfrage seitens Menschen, die man wenig kennt, nur hierzulande erlebt. In England würde man seinem Nachbar einfach nur einen freundlichen „Hello“ zuwerfen, oder sich über das neutrale Thema Wetter austauschen. Einige würden behaupten, dass so ein nichtssagendes Gequatsche total oberflächlich sei. Ich sage dazu nur: Wir sind Nachbarn. Und nicht beste Freunde.

Eine Etikette-Expertin, die ich mal interviewen durfte, sprach ich mal auf dieses Thema an. Sie meinte, es würde sich dabei um falsch verstandene Nähe handeln: Der Kollege, Nachbar oder Bekannte würde meinen, er könnte so direkt zu einem sein, weil man sich doch kennen würde.

Die Erklärung der Expertin hilft mir manchmal ein wenig, mich nicht all zu sehr über das Thema aufzuregen, wenn ich etwa nach der seltenen Joggingrunde von einem Nachbar gefragt werde, ob ich eine längere Runde als sonst gedreht hätte, und daran zu denken, dass es sich hierbei um einen kulturellen Unterschied, bzw. eines Missverständnisses handeln würde. Meistens aber helfen mir solche Gedanken erst, wenn es zu spät ist. Eine Mutter aus der Nachbarschaft, mit der ich neulich über das Thema Kitaeingewöhnung sprach, verriet ich fälschlicherweise, dass die Eingewöhnung weniger meinem Sohn, als mir schwerfiel. Dazu sagte sie gleich: „ja, das sieht man.“