Freitag, 11. November 2011

Zeitdürre

Am Fischstand drängelt sich eine junge Frau vor. Als wäre es das Natürlichste der Welt, stellt sie sich am Anfang der Schlange. Ich muss zugeben, dass mich ihre Nonchalance etwas aufregt, obwohl ich Britin bin, es besser wissen müsste und der Spruch „keep calm and carry on“ angeblich zu meinem DNA gehört. Stattdessen bin ich einer dieser gestressten Mütter geworden, deren Stirn voller Falten ist wie ein Blatt Origami und den Buggy gegen den kalten Wind des Alltags – Arbeit, Kind, Arbeit... - schieben. Dabei bin ich nicht allein; die Zeitungen bestätigen es, es geht kaum ein Tag vorbei, an dem man nicht Begriffe liest wie „work-life-balance“ oder wie neulich, im britischen Radio, Wörter hört wie „time famine“. Kinder hungern in Afrika und wie haben eine Zeitdürre! Geduld scheint in unserer heutigen Zeit zunehmend Mangelware zu sein. Wir wollen alles. Neulich im Restaurant wollte ein Gast ein Gericht auf so viele Weisen anders im Menü stehend bestellen (statt Röstkartoffeln Bratkartoffeln; statt Rehkeule Lammkeule, statt Soße Salat..) – da hätte ich ihm am liebsten gefragt, „warum kommen Sie überhaupt ins Restaurant? Sie sind doch nicht bei Ihrer Mutter!“ Bescheidenheit is a thing of the past. Die Randalierer im Sommer in London waren so arm, dass sie ihren Protest mit ihren Blackberrys organisieren mussten. Dennoch: Gerade hier, wo Polizeiwagen und Geschäfte brannten und im Londoner Stadtteil Tottenham die Rioters in ein Einkaufszentrum einbrachen, bildeten genau diese laut Polizeibericht eine ordentliche Schlange, um am helllichten Tag ein Sportgeschäft zu plündern. Auch ich lasse an der Kasse inzwischen nur noch Leute vor: die in Eile, die mit nur wenige Waren, die, die nett drum bitten. Sollen die hinter mir wegen meines Verhaltens kochen und zischen. Ich bin großzügig, Meisterin im Schlangestehen und für meine deutschen Mitbürger ein Vorbild.