Donnerstag, 5. Mai 2011

Verlustgefühle


Ich habe einen Fehler gemacht. Vor ein paar Wochen habe ich mir eine neue Teetasse bestellt, echtes englisches Porzellan, dazu mit der witzigen Aufschrift „I couldn’t care less about the Royal Wedding“ (die königliche Hochzeit ist mir völlig egal). In meinem Haushalt, muss man dazu wissen, und auch in denen so einige meiner britischen Freunde, ist die Teetasse nicht einfach irgendeine austauschbare Küchenutensilie; die Wahl der Tasse am Morgen oder Nachmittag wird stets wohlüberlegt und muss zur Stimmung, Jahreszeit (und zur Teesorte) passen. Sie reflektiert quasi den britischen Stimmungszustand. Ich erwarte nicht, dass man diese Macke versteht, nur: Als ich die Anti-Royal Wedding Tasse bestellte, hielt ich mich wohl noch für so cool und objektiv gegenüber das ganze Hochzeitsgeschehen – schließlich bin ich doch eine steinharte Journalistin -, dass ich gerade schmunzeln musste, bei der Vorstellung, wie ich mit der Tasse und einem ironischen Lächeln auf den Lippen die Zeremonie schauen würde.

Aber wie bereits gesagt: Ich habe einen Fehler gemacht. Denn die Tasse kam schon einige Tage vor der Hochzeit an – und ich habe sie nicht einmal verwendet. Als ich an dem 29.4. den Fernseher einschaltete, um mir die königliche Hochzeit anzusehen, schossen mir gleich die Tränen in die Augen. Nach einer Kindheit in London und meine Teenagerjahre in Deutschland, habe ich so viel Zeit in meinem Erwachsenenleben damit verbracht, eine Antwort auf die Frage zu finden, was für mich Heimat, und was Zuhause bedeutet; ob ich Britin oder Deutsche bin. (Heute akzeptiere ich, dass ich nun einmal eine Mischung aus beidem bin, und finde das völlig in Ordnung). Gerade hier in Hamburg dachte ich, jene Frage, auch weil ich nun selbst Mutter bin und Hamburg ganz wunderbar finde, endlich für mich gelöst zu haben; und nach den letzten Jahren, die ich als Erwachsene in London verbracht habe, mit meiner englischen Heimat abgeschlossen zu haben. Stattdessen habe ich während der ganzen Hochzeitszeremonie geheult – weniger, weil das Schauspiel in Westminster Abbey reif für eine Hollywood-Romanze gewesen wäre. Sondern, weil ich getrauert habe: um meiner Kindheit – schließlich stand ich 1981 mit einer Plastikfahne, auf denen Diana und Charles abgebildet waren, am Buckingham Palace, um der Prinzessin zuzuwinken. Und ich habe getrauert, um ein Teil von mir, das, wie bei vielen Briten, ob man es will oder nicht, unweigerlich mit dem Königshaus und alles, was es repräsentiert – Kontinuität, Geschichte, Gemeinschaftsgefühl – verstrickt ist.

Dieses Gefühl des Verlusts – der Verlust einer Heimat – schmerzt nun wieder etwas, wenn ich ehrlich bin. Es überrascht mich; schließlich dachte ich, mit der Heimatfrage seit einigen Jahren endlich abgeschlossen zu haben. Aber es wird auch wieder besser werden, bis ich das Gefühl in meinem alltäglichen Leben wieder vergessen habe und es zu einer Erinnerung verblasst. Wichtiger ist wohl dass man sich irgendwo auf der Welt zu Hause fühlt, als dass man seiner alten Heimat nachtrauert, die sowieso nicht mehr das ist, was es war, als man ein Kind war.

Und dennoch: Die Tasse mit der Aufschrift „I couldn’t care less about the Royal Wedding“ steht immer noch unbenutzt im Schrank.