Donnerstag, 31. März 2011

„Get this review off here!“

Letzte Woche war der Name Jacqueline Howett noch weitgehend unbekannt in der Welt, wie zahlreiche Erstromanautoren, mich eingeschlossen. Bekannt wurde Howett allerdings nicht, weil man ihr literarisches Talent plötzlich erkannt hat, sondern weil sie selbst zu einem Internetphänomen geworden ist: Howett erlaubte es sich, einen Buchkritiker (vom beliebten Indie Buchblogger BigAl: http://booksandpals.blogspot.com) zu widersprechen, der ihr Werk mit zwei Sternen auszeichnete und diesem vor allem wegen der im Werk enthaltenen Rechtschreibungsfehler ermahnt hatte. Howetts Reaktion begann damit, ihr Buch als „ausgezeichnet“ anzupreisen, die Besprechung dann als „Missbrauch“ zu verdammen, um daraufhin BigAl aufzufordern, seine Besprechung sofort zu entfernen („Now get this review off here!“) und sich schließlich mit einem eleganten „fuck off!“ zu verabschieden.

Der Sturm – eine Mischung aus Verwunderung und Entrüstung über Howett - entfachte sich schnell in den Online-Communities der Literaturwelt, was nicht überraschte, schließlich weiß man eines als Autor, dass Buchbesprechungen gefälligst zu ignorieren sind. Dass die Autorin, die ihr Buch selbst veröffentlichte, vielleicht doch etwas Unterstützung bei der Korrektur hätte holen sollen (und ihre Unfähigkeit, mit negativer Kritik umzugehen, vielleicht dazu geführt hat, dass sie keine geholt hat), ist eine Sache – ich zum Beispiel habe alle Entwürfe meines Romans nur einer Person gezeigt, meiner Mutter, vermutlich in der Hoffnung, sie würde vor lauter bedingungsloser Mutterliebe mich nicht zu sehr kritisieren (falsch gedacht).

Tatsächlich haben alle Autoren vermutlich ein, oder mehrmals mit den Gedanken gespielt, dem einen oder anderen Kritiker eine schlichte „fuck off“-Mail zu senden. Negative Besprechungen bedeuten schließlich viel mehr als Positive: nicht nur, wie die Autorin Jean Edelstein in der „Guardian“ behauptet, weil gute Besprechungen den Glauben des Autors bestätigen, dass man doch so talentiert sei; sondern weil schlechte Kritiken schlichtweg die schlimmsten Befürchtungen eines Schreibers bestärken: nämlich, dass man gar nicht schreiben kann. Die preisgekrönte britische Lyrikerin Wendy Cope erzählte neulich in einem Interview, dass sie sich selbst ertappt hatte, wie sie immer weniger schrieb, weil sie, wie sie feststellen musste, Angst vor dem Versagen hatte. Das Gefühl kann ich als Autorin bestätigen: Ich habe so viele halb fertige Kurzgeschichten in meinem Notizheft gekritzelt, dass man daraus ein ganzer Roman verfassen könnte. Diese auf meinem Rechner abzutippen und so zu konkretisieren, ist allerdings eine Tat, die für mich einen Blick in einem tiefen, dunklen Abgrund gleicht.

Als unbekannter Erstautor ist es so schwer, seine Leser zu erreichen, dass jede schlechte Kritik doppelt wehtut. Ich selbst habe, nach einigen ersten erfreulichen Besprechungen in der deutschen Presse, eine Kritik erfahren dürfen, in der eine Dame (und laut Amazon erfahrene Top-Rezensentin) behauptete, die Mängel an meinem Buch würden daran liegen, dass das Gefühlschaos meiner Protagonistin zu sehr ans Leben der Autorin angelehnt sei. Wie gerne hätte ich zurückgeschrieben, dass das ganz und gar nicht der Fall ist, und dass auch Personen mit 30, wie in meinem Buch beschrieben, durchaus irrationale Entscheidungen treffen können, auch wenn die Rezensentin solche emotionelle Aufs und Abs selbst vielleicht nicht erfahren hat.

Ich habe ihr natürlich nicht geantwortet. Ich möchte nicht wie Jacqueline Howett nur für meine fehlende Kritikfähigkeit bekannt werden. Vor allem wäre ich nie Autor geworden, wenn ich nicht bereit wäre, mich der großen, gefährlichen Meinungswelt auszusetzen. Autor zu sein heißt, dass man (hoffentlich) Leser hat, und die werden einem nicht immer wohl gesonnen sein. Stattdessen sollte man ihre Kritik dafür nutzen, einen besseren Autor zu werden. Von daher: Danke liebe negative Rezensentin. Wegen Ihnen werde ich hoffentlich das nächste Mal ein besseres Buch schreiben.

Samstag, 12. März 2011

Tattoo blues


Blondes, schulterlanges, Haar, etwas pummelig, Apfelbacken. Ich denke: Birkenstock, Alnatura, zwei Kinder, Ottensen. Als die Frau sich auszieht, sehe ich an ihrem Rücken einen Drachen sich über ein großes Herz schlängeln. Fast ihr gesamter Rücken ist mit einer Tätowierung verziert.

Es ist ein ganz normaler Tag in meinem Fitnessstudio in Bahrenfeld. Wie so oft um diese Zeit sind alle Laufgeräte besetzt; im Schwimmbecken teilen sich drei Leute eine Bahn. Auch in der Umkleide sind die meisten Spinde besetzt. Um mich herum sehe ich eine junge Frau mit einer Echse auf dem Schulterblatt. Eine Dame, die soeben aus der Dusche gekommen ist, ziert ein Blumengebilde am oberen Rücken und einem Arm. Neben mir trägt eine junge Frau eine Schwalbe auf der linken Pobacke.

In meiner Heimat in Großbritannien sieht man Frauen, vor allem in meinem Alter, eher selten mit einer Tätowierung. Und wenn, dann ist diese so dezent, dass man sie oft auf den ersten Blick nicht bemerkt. Tattoos gelten nach wie vor als etwas prollig; es sei, man heißt Alice Dellal, deren Körperschmuck gerade zu ihrem Markenzeichen als Topmodel geworden ist.

Mein Vater hatte sich als 17-jähriges Mitglied der British Army zusammen mit seinen Kameraden einen großen, fliegenden Adler auf dem Oberarm stechen lassen; etwas, was er später, in seinem Versuch mit Hilfe von Maßschneideranzügen und BBC-Englisch der britischen Klassenleiter emporzusteigen, sehr bereute und stets zu vertuschen versuchte. Nun stehe ich im Umkleideraum, siehe die tätowierten Frauen um mich herum, die nach dem Sport gerade wieder ihre Bürokostüme überstreifen, und frage mich, warum so viele Deutsche – Männer und Frauen - das Bedürfnis haben, ihre Körper für die Ewigkeit - je nach Ansicht - zu schmücken, bzw. zu entstellen?

Zuhause schaue ich zum Thema ins Internet. In einer Repräsentativerhebung der Universität Leipzig von 2009 heißt es, in Deutschland seien „Körpermodifikationen“ wie Tätowierungen und Piercings weiter im Trend; dabei zeige sich eine Geschlechts- und Altersabhängigkeit. Gerade Frauen würden bei Tätowierungen aufholen, heißt es dort. Andernorts behauptet ein Diplom-Psychologe, der Trend habe tatsächlich das ganze Land erfasst. Die Tätowierung sei ein „Autonomiegewinn“, in dem sich der Tätowierte von der Generation vor ihm, die keinen vergleichbaren Körperschmuck trägt, abzugrenzen versuchen würde.

Sich tätowieren lassen, um sich von älteren Generationen abzugrenzen: eine hübsche Theorie, denke ich. Im Sportstudio scheinen es tatsächlich vor allem jüngere bis thirtysomething Frauen zu sein, die zur Tätowierung greifen. Bis ich einige Tage später wieder beim Training bin. Als die grauhaarige Dame neben mir ihre Sporttasche in ihrem Spind schiebt und sich dabei im BH hoch streckt, erkenne ich unter dessen Trägen unverkennbar die Flügel eines tintenblauen Schmetterlings.