Blondes, schulterlanges, Haar, etwas pummelig, Apfelbacken. Ich denke: Birkenstock, Alnatura, zwei Kinder, Ottensen. Als die Frau sich auszieht, sehe ich an ihrem Rücken einen Drachen sich über ein großes Herz schlängeln. Fast ihr gesamter Rücken ist mit einer Tätowierung verziert.
Es ist ein ganz normaler Tag in meinem Fitnessstudio in Bahrenfeld. Wie so oft um diese Zeit sind alle Laufgeräte besetzt; im Schwimmbecken teilen sich drei Leute eine Bahn. Auch in der Umkleide sind die meisten Spinde besetzt. Um mich herum sehe ich eine junge Frau mit einer Echse auf dem Schulterblatt. Eine Dame, die soeben aus der Dusche gekommen ist, ziert ein Blumengebilde am oberen Rücken und einem Arm. Neben mir trägt eine junge Frau eine Schwalbe auf der linken Pobacke.
In meiner Heimat in Großbritannien sieht man Frauen, vor allem in meinem Alter, eher selten mit einer Tätowierung. Und wenn, dann ist diese so dezent, dass man sie oft auf den ersten Blick nicht bemerkt. Tattoos gelten nach wie vor als etwas prollig; es sei, man heißt Alice Dellal, deren Körperschmuck gerade zu ihrem Markenzeichen als Topmodel geworden ist.
Mein Vater hatte sich als 17-jähriges Mitglied der British Army zusammen mit seinen Kameraden einen großen, fliegenden Adler auf dem Oberarm stechen lassen; etwas, was er später, in seinem Versuch mit Hilfe von Maßschneideranzügen und BBC-Englisch der britischen Klassenleiter emporzusteigen, sehr bereute und stets zu vertuschen versuchte. Nun stehe ich im Umkleideraum, siehe die tätowierten Frauen um mich herum, die nach dem Sport gerade wieder ihre Bürokostüme überstreifen, und frage mich, warum so viele Deutsche – Männer und Frauen - das Bedürfnis haben, ihre Körper für die Ewigkeit - je nach Ansicht - zu schmücken, bzw. zu entstellen?
Zuhause schaue ich zum Thema ins Internet. In einer Repräsentativerhebung der Universität Leipzig von 2009 heißt es, in Deutschland seien „Körpermodifikationen“ wie Tätowierungen und Piercings weiter im Trend; dabei zeige sich eine Geschlechts- und Altersabhängigkeit. Gerade Frauen würden bei Tätowierungen aufholen, heißt es dort. Andernorts behauptet ein Diplom-Psychologe, der Trend habe tatsächlich das ganze Land erfasst. Die Tätowierung sei ein „Autonomiegewinn“, in dem sich der Tätowierte von der Generation vor ihm, die keinen vergleichbaren Körperschmuck trägt, abzugrenzen versuchen würde.
Sich tätowieren lassen, um sich von älteren Generationen abzugrenzen: eine hübsche Theorie, denke ich. Im Sportstudio scheinen es tatsächlich vor allem jüngere bis thirtysomething Frauen zu sein, die zur Tätowierung greifen. Bis ich einige Tage später wieder beim Training bin. Als die grauhaarige Dame neben mir ihre Sporttasche in ihrem Spind schiebt und sich dabei im BH hoch streckt, erkenne ich unter dessen Trägen unverkennbar die Flügel eines tintenblauen Schmetterlings.
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